Prediger und Bürger

Das mittelalterliche Recht kannte keine Staatsbürger und kein allgemeines Bürgerrecht nach heutigen Vorstellungen. Das Recht der Bürger wurde nach der jeweiligen Städteverfassung gebildet und unterschied Sondergemeinden, wie die Geistlichkeit. Ebenso bildeten „Staat“ und „Kirche“, anders als nach modernem Verständnis, eine Einheit. Die Gemeinde hatte dementsprechend eine weittragende Bedeutung für die Entwicklung der Reformation, sowohl im kirchlichen, als auch im politischen Zusammenhang.

So waren auch die Stadt und die Kirche in einer „städtischen Religiösität“ miteinander verbunden. Diese Verbindung war prägend für die Bildung des Gemeinwesens und des politischen Selbstbewusstseins, aber auch für die Ausbildung der allgemeinen und individuellen Frömmigkeit und Glaubensvorstellungen. Somit bestimmte sie auch für die Verbreitung der lutherischen Lehre. Dabei kam den Predigten eine besondere Bedeutung zu. Sie beförderten den reformatorischen Wandel und machten die Reformation zu einer Predigtbewegung.

Der reformatorische Prediger, im Kern der Überbringer der biblischen und göttlichen Botschaft, war daher eine der einflussreichsten Figuren der Reformation. Die von Martin Luther vertretene Forderung nach der Priesterschaft der Gläubigen hatte letztlich weitreichende kirchenrechtliche und soziale Folgen. Sie beförderte die Eingliederung der Geistlichen in die städtische Bürgerschaft.

Begegneten sich Städte und Kirchen auch weitgehend abgrenzend, so wurden Bürger und Geistliche im Zuge der Reformation nicht länger getrennt betrachtet. Allein sein besonderes Amt bestimmte die Vorrangstellung des Priesters. Die religiöse Gemeinschaft wurde somit nach und nach zu einer vorwiegend politischen Gemeinschaft. Der Ausbau der Ratsverfassungen führte schließlich zu einer deutlicheren Trennung zwischen Rat und Gemeinde. Diese Entwicklung zeichnet sich noch heute in den Rathäuser, Pfarrhäusern und Schulen als Abbilder des reformatorischen Wandels ab.